Die Menschheit steckt mitten in der Klimakrise. Um deren schlimmste Folgen zu verhindern, braucht es das richtige Narrativ. Wie soll das aussehen?
Wer das Bild einmal sieht, dem brennt es sich ein. Ein Eisbär steht auf einer Scholle und blickt ins Leere. Das Tier besteht nur noch aus Fell und Knochen. Noch wenige Tage, dann wird es verhungern.
Das Foto, das die deutsche Fotografin Kerstin Langenberger vor vier Jahren auf Spitzbergen schoss, ging um die Welt. Umweltorganisationen wie der WWF griffen darauf zurück, um die Überhitzung der Erde zu verdeutlichen.
Das war auf den ersten Blick auch sinnvoll. Es ist nämlich nicht leicht, die Klimakrise fassbar zu machen, ist sie doch ein seltsames Mittelding. Einerseits ist sie bereits hier. Von Alaska über Indien bis nach Südfrankreich werden Hitzerekorde vermeldet. In Ostdeutschland brennt der Wald und in der Arktis die Tundra.
Andererseits ist sie auch eine Bedrohung, deren verheerendste Auswirkungen sich noch abwenden lassen – wenn der Mensch endlich handelt. Deshalb ist es problematisch, sie mit hungernden Tieren zu illustrieren. Das findet zumindest der Journalist David Wallace-Wells. Denn im Gegensatz zu den Eisbären stehen wir dem Treibhauseffekt nicht machtlos gegenüber. Eisbärfotos aber zeigen laut Wallace-Wells die Folgen der Erderwärmung ohne den Menschen als Beteiligten und Verursacher. Wir fühlen mit den Tieren, aber halten damit auch auf Distanz, wie sehr das Problem uns selbst betrifft.
Das Klima erzählen
Wie also die Klimakrise so erzählen, dass klar wird, was auf dem Spiel steht? Dass klar wird, dass es einzig der Mensch ist, der die Eskalation bremsen kann, bremsen muss, indem er entschlossen handelt, und zwar kollektiv? Wallace-Wells glaubt: Am besten geht man vom Schlimmsten aus. Weil die Menschen nur zum Handeln bewegen kann, wer ihnen den Preis des Nichthandelns klarmacht.
Deshalb fing der Journalist, der sich zuvor nicht mit Umweltthemen beschäftigt hatte, vor einigen Jahren an, jeden klimawissenschaftlichen Fachartikel zu lesen, der ihm in die Finger geriet. Ihm war aufgefallen, dass diese ein wesentlich drastischeres Bild von den Folgen der Überhitzung zeichneten, als es die Berichte in den Medien nahelegten. Sein soeben auf Deutsch erschienenes Buch «Die unbewohnbare Erde» ist der Versuch, eine breite Leserschaft an dieser Beunruhigung teilhaben zu lassen. Neben der erwähnten Fachliteratur – 65 Seiten nehmen allein die Quellennachweise ein – speist es sich aus zahlreichen Gesprächen mit Klimawissenschaftlerinnen.
Die Ausgangsfrage des Buches ist denkbar einfach: Was passiert, wenn wir unsere Klimaziele verfehlen?
Denn dass das passiert, ist leider nicht so unwahrscheinlich. Der im Abkommen von Paris 2015 beschlossene maximale Temperaturanstieg von 1,5 Grad bis Ende dieses Jahrhunderts lässt sich kaum mehr einhalten. Werden die damals vereinbarten Massnahmen nicht umgehend umgesetzt, wird der Planet eher 2 bis 3 Grad wärmer sein. Noch bei der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls vor rund 22 Jahren galten 2 Grad als absolutes Worst-Case-Szenario.
Eine um 3 Grad heissere Welt ist eine Katastrophenwelt. Das zeigt der Autor deutlich. In den USA würde sechsmal so viel Land von Flammen heimgesucht werden wie heute, während Südeuropa dauerhaft verdorren könnte. Zudem drohte ein permanentes Ernährungsdefizit. Das heisst, dass weltweit weniger Kalorien produziert werden, als die wachsende Weltbevölkerung verbraucht.
Wallace-Wells gelingt es mit seiner Darstellung, eine abstrakte Bedrohung spürbar zu machen. Dazu geht er oft von aktuellen Naturkatastrophen wie zum Beispiel den Waldbränden 2017 in Kalifornien aus. Erst schildert er, wie sich ein Pärchen aus lauter Verzweiflung in den Pool rettet, während sein Haus lichterloh brennt. Der Mann überlebt, doch die Frau stirbt in seinen Armen. Dann weist der Autor darauf hin, dass solche Waldbrände in zehn Jahren zur Normalität gehören werden. Und als wäre das nicht genug, werden die brennenden Bäume der Atmosphäre noch mehr CO2 zuführen. Jeder Waldbrand lässt also die Waldbrandgefahr weiter steigen.
Wallace-Wells’ Erzählung endet jedoch nicht bei der 3-Grad-Welt, sondern lotet noch extremere Möglichkeiten aus. Der Planet hört schliesslich nach 2100 nicht abrupt auf, sich zu erhitzen. Dasselbe gilt für den Meeresspiegel. Der steigt selbst dann noch jahrhundertelang an, wenn es bei den 3 Grad bleibt – möglicherweise um bis zu 50 Meter. Dann stünden London, Montreal oder Stockholm beinahe komplett unter Wasser.
Bereits in einer 4 Grad wärmeren Welt, zeigt sich Wallace-Wells überzeugt, wird «das Ökosystem der Erde so viele Naturkatastrophen entfachen, dass wir sie schlicht ‹Wetter› nennen werden: gewaltige Taifune, Tornados und Überschwemmungen». Aus den tropischen Regenwäldern würden Savannen, die Alpen wären so trocken wie das Atlasgebirge. Der Wasser- und der Nahrungsmangel liessen neue Kriege aufflammen. Und zu allem Überfluss, so seine spekulative Warnung, könnte der auftauende Permafrostboden Millionen Jahre alte Krankheitserreger freisetzen.
Die Aneinanderreihung von Horrorvisionen, die der Autor präsentiert, ist so imposant, dass man sich beim Lesen fühlt, als würde man von einer Naturgewalt überrollt.
Dabei spürt man, was man eigentlich längst weiss: Ohne eine Kehrtwende steuern wir auf eine verheerende Zukunft hin. Doch selbst nach über 300 Seiten Angst und Schrecken bleibt es womöglich eine Herausforderung, sich vorzustellen, dass diese Erzählung von uns selbst handelt. Wallace-Wells glaubt, den Grund gefunden zu haben: Die Klimakrise lässt sich kaum erzählen. Geschichten über das Klima sind Geschichten ohne individuellen Bösewicht. Wir alle sind mitschuldig. (Laut Oxfam sind die reichsten 10 Prozent der Welt für die Hälfte aller Emissionen verantwortlich.)
Der Markt wirds nicht richten
Diese Erkenntnis ist schwer auszuhalten. Deshalb wird gerne von ihr abgelenkt. So behauptet beispielsweise der ehemalige Google-CEO Eric Schmidt, um das Klima brauche man sich nicht zu sorgen. Der technologische Wandel gehe so schnell vonstatten, dass die Lösung schon so gut wie gefunden sei.
Solche Narrative überhöhen den Markt und die Technologie zu einer zweiten, noch übermächtigeren Natur. Dabei demonstrieren allein schon längere Stromausfälle, dass der Mensch die Natur weit weniger kontrolliert, als er glaubt. Zudem dürfte, wie Wallace-Wells bemerkt, die Erderwärmung die Weltwirtschaft stark bremsen; bis Ende des Jahrhunderts drohe ein weltweiter Einkommensverlust von 23 Prozent pro Kopf. Das macht technologische Durchbrüche nicht gerade wahrscheinlicher.
Selbst die Ökostromrevolution allein wird es nicht richten. Bis jetzt haben sich die globalen CO2-Emissionen nämlich trotz des Ausbaus erneuerbarer Energien nicht verringert, sondern sind sogar gestiegen. Das liegt auch daran, dass günstiger grüner Strom dazu verleitet, noch mehr Energie zu verbrauchen. In der Ökonomie nennt man dies den Rebound-Effekt.
Es wird also nicht reichen, die Hände in den Schoss zu legen und auf den Markt zu hoffen. So viel ist klar. Aber ob es reicht, sich den Untergang in den buntesten Farben auszumalen, wie Wallace-Wells das tut?
Der Autor betont zwar stets, hoffnungsvoll in die Zukunft zu blicken, gibt dafür aber kaum Gründe an. Problematisch wird es, wenn er seine Horrorszenarien nicht näher qualifiziert. So steht die unangenehme, aber wahrscheinliche 2-Grad-Zukunft gleichberechtigt neben einer 6-Grad-Zukunft, in der die Menschen in Bahrain selbst nachts an Überhitzung stürben und zahlreiche andere Regionen ebenfalls unbewohnbar würden. Zwar geht Wallace-Wells dabei von wissenschaftlichen Fakten aus, was Kritiker wie der Klimawissenschaftler Michael Mann einräumen. Aber er spitzt sie oft zu – als wären sie nicht schon an sich schlimm genug. So ist nicht erwiesen, dass die im Permafrost befindlichen Viren dem Menschen überhaupt gefährlich werden können. Auch wie Taifune und Hurrikans genau mit der Erderwärmung zusammenhängen, ist noch nicht abschliessend erforscht.
«Die unbewohnbare Erde» zeigt, wie schwierig es ist, die Klimakrise verantwortungsbewusst zu erzählen. Belässt man es bei nüchternen Statistiken, kann das zum Fehlschluss verleiten, die Menschheit werde schon glimpflich davonkommen. Umgekehrt können Weltuntergangsszenarien dazu führen, dass Menschen vorschnell alle Hoffnung aufgeben. Oder sie rufen gar psychologisches Abwehrverhalten hervor – und bewirken trotziges Abstreiten statt Engagement.
Auch wenn Wallace-Wells zur Überdramatisierung neigt, gelingt es ihm grösstenteils, die beiden genannten Extreme zu umgehen. Seine Fakten sind von der Wissenschaft gedeckt. Das ist es, was zählt. Ausserdem sind drastische Worte durchaus angebracht, schliesslich bleiben laut der Uno noch zwölf Jahre, um die Pariser Ziele zu erreichen.
Trotzdem gilt: Zu schildern, was der Menschheit alles droht, ist nur ein Anfang. Gefragt sind Lösungsvorschläge und Visionen. Denn wie das Klima sich entwickeln wird, hängt auch davon ab, welche Geschichten wir uns über uns selbst und unsere Zukunft erzählen.
Letztlich kommt es wohl auf beides an: dass möglichst viele Autoren die wissenschaftlichen Fakten immer wieder neu zur Sprache bringen. Und dass die Art und Weise, wie von der Klimakrise erzählt wird, selbst Thema bleibt.
Deshalb ist es zu begrüssen, wenn sich die Wissenschaftlerinnen selbst noch stärker in den öffentlichen Diskurs einbringen. Immerhin haben inzwischen über 25’000 Wissenschaftler, darunter auch der ETH-Klimaphysiker Reto Knutti, den Appell «Scientists for Future» unterschrieben, in dem sich die Forscherinnen mit der streikenden Klimajugend solidarisieren, deren Anliegen vollkommen berechtigt sei.
Und es gibt eine Reihe von Schachbuchautoren, die sich der Herausforderung stellen, die Klimakrise erzählbar zu machen. Nathaniel Richs packendes Buch «Losing Earth», gewissermassen die Vorgeschichte zur «unbewohnbaren Erde», schildert, wie bereits in den Achtzigern die Chance zur Klimarettung verspielt wurde. Harald Welzers Klimautopie «Alles könnte anders sein» bietet dagegen einen optimistischen Gegenentwurf zu Wallace-Wells’ Katastrophenwelt. Im Herbst erscheint zudem ein neues Werk des amerikanischen Schriftstellers Jonathan Safran Foer. Das Klima, so verspricht er, lasse sich schon beim Frühstück retten. Auf seinen Erzählversuch darf man gespannt sein.
Quelle: www.republik.ch/ von Florian Oegerli, 05.08.2019